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Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik


Die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" stellen den Mindeststandard dar, den ein Bauherr bei seinem Gebäude erwarten darf. Es ist auf deutschen Baustellen jedoch keine Seltenheit, dass dieser Standard unterschritten wird. Hiermit sind für den Bauunternehmer und den Planer erhebliche Haftungsrisiken verbunden, insbesondere dann, wenn mit dem Bauherrn im Vorhinein nicht ausreichend kommuniziert wurde.

Eine "allgemein anerkannte Regel der Technik" muss in der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sein und sich in der Praxis überwiegend bewährt haben. Soweit die Definition. Die Praxis behilft sich damit, dass sie auf technische Regelwerke abstellt, die auf das jeweils betroffene Gewerk Vorgaben und Anforderungen enthalten. Als Konkretisierungshilfen kommen unter anderem die DIN-Normen des deutschen Instituts für Normung e.V., die VDI-Richtlinien vom Verein Deutscher Ingenieur oder die Flachdachrichtlinien in Betracht.

In diesem Zusammenhang ist jedoch mit dem weit verbreiteten Irrglauben aufzuräumen, dass zur Bestimmung der anerkannten Regeln der Technik allein ein Blick in die betreffende DIN-Norm reiche. DIN-Normen sind keine Rechtsnormen, sondern "private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter", so der Bundesgerichtshof. Sie haben zwar die Vermutung für sich, die anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben. Diese Vermutungswirkung ist jedoch widerlegbar. Prominentestes Beispiel für eine DIN-Norm, die hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleibt, war die DIN 4109 zum Schallschutz in Gebäuden.

Aber wieso ist die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik für die Baubeteiligten so relevant? Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten die anerkannten Regeln der Technik als - sowohl im BGB- als auch im VOB/B-Werkvertrag - grundsätzlich einzuhaltender Mindeststandard. Auch ohne konkrete Vereinbarung im Vertrag schuldet der Bauunternehmer eine Ausführung entsprechend den anerkannten Regeln der Technik. Dies gilt entsprechend auch für die Planung eines Architekten oder Ingenieurs.

Die anerkannten Regeln der Technik stellen insoweit das "Mindeste" dar, was ein Bauherr zum Zeitpunkt der Abnahme beanspruchen kann; denn der Auftragnehmer schuldet grundsätzlich die Einhaltung der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme, und zwar auch dann, wenn diese sich zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändern (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2017 - VII ZR 65/14 = BeckRS 2017, 134031 = NJW-Spezial 2018, 12). Sind diese Regeln nicht eingehalten, ist die Bauausführung mangelhaft und der Bauherr kann Nachbesserung und gegebenenfalls bei Verschulden (= Vorsatz oder Fahrlässigkeit) sogar Schadensersatz verlangen.

Ausnahmsweise sind die anerkannten Regeln der Technik für die Mangelbeurteilung dann nicht relevant, wenn die Bauvertragsparteien eine höherwertigere Ausführung als die allgemein übliche vereinbart haben. Zudem können sich die Parteien auf eine unterhalb der üblichen Qualität liegende Bauausführung verständigen (sog. "Beschaffenheitsvereinbarung nach unten"). Dies ist insbesondere beim Bauen im Bestand relevant, da es aus technischer Sicht nahezu unmöglich ist, sämtliche anerkannte Regeln der Technik einzuhalten, da diese in erster Linie für Neubauten entwickelt werden.

Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten! An eine wirksame Beschaffenheitsvereinbarung nach unten werden von der Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen gestellt. Der Bundesgerichtshof fordert, dass der Planer oder Bauüberwacher den Auftraggeber deutlich auf das Abweichen vom allgemein üblichen Qualitätsstandard hinweist und ihn über die Folgen aufklären muss. Das gilt vor allem bei einem fachunkundigen (privaten) Bauherrn. Etwas anders mag ausnahmsweise bei Vertragsparteien anzunehmen sein, die sich baufachlich "auf Augenhöhe" begegnen.

An die Aufklärung bei einer negativen Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik sind hohe Anforderungen zu stellen, weshalb von einem Unterschreiten des Mindeststandards eigentlich nur abgeraten werden kann. Dieser führt, ohne ausreichende Aufklärung, geradewegs zum Haftungsfall.

Sollte eine Abweichung unumgänglich sein oder gar vom Auftraggeber gefordert werden, empfiehlt sich entweder eine konkrete und inhaltlich klare Regelung vom Vertrag (nebst Risikoaufklärung) oder - im Laufe der Bauausführung oder des Planungsprozesses - die schriftliche Vereinbarung einer sog. Haftungsfreistellungsvereinbarung. Diese ist so konkret wie möglich zu formulieren, am besten mit fachanwaltlicher Hilfe. Insbesondere sollte darin vorkommen, welche Bauausführung eine Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik darstellt (Nennung der einschlägigen DIN-Norm o.ä.), weshalb die Abweichung erforderlich ist, welche Folgen hieran geknüpft sein können, und dass der Bauherr diesbezüglich auf seine Gewährleistungsansprüche verzichtet.


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